Arbeitsruhe - Weitreichende Auswirkungen durch neues EuGH-Urteil
Stand 20/3/2023
Ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) wirft ein völlig neues Licht auf die bisherige Auslegung der österreichischen Arbeitsruhebestimmungen. Der EuGH stellt klar, dass die tägliche Mindestruhezeit in jedem Fall zusätzlich zur wöchentlichen Mindestruhezeit zu gewähren ist. Ein Einrechnen der täglichen Ruhezeit in die Wochen(end)ruhe ist demnach nicht zulässig.
1. Kernaussagen des EuGH
In einem ungarischen Anlassfall machte ein Lokführer geltend, dass sein Arbeitgeber ihm nicht die gesetzlich vorgesehene tägliche Ruhezeit gewährt, wenn er eine Wochenruhe oder einen Urlaub in Anspruch nimmt. Im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens zu C-477/21 vom 2.3.2023 nahm der EuGH sodann zur Auslegung der – in Österreich durch das Arbeitszeit- und Arbeitsruhegesetz umgesetzten – Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG Stellung.
Die Arbeitszeit-Richtlinie gibt grundsätzlich eine tägliche Mindestruhezeit von 11 Stunden und eine wöchentliche Mindestruhezeit von 24 Stunden vor (Art 3 und 5 der RL). In seiner Entscheidung weist der EuGH darauf hin, dass es sich bei der täglichen und wöchentlichen Ruhezeit um zwei autonome Ansprüche handelt, die den Arbeitnehmern kumulativ gewährt werden müssen. Die Gewährung einer täglichen Ruhezeit ist dabei unabhängig davon, ob sich an diese Ruhezeit eine Arbeitsperiode anschließt oder nicht. Den Arbeitnehmern ist daher jedenfalls nach jeder Arbeitsperiode die tägliche Ruhezeit und erst anschließend eine allfällige wöchentliche Ruhezeit zu gewähren. Dies gilt auch dann, wenn die in der Arbeitszeit-Richtlinie vorgesehene wöchentliche Mindestruhezeit von den Mitgliedstaaten – wie auch in Österreich – auf über 24 Stunden ausgedehnt wurde.
2. Konsequenzen für die österreichische Rechtlage
Nach dem österreichischen Arbeitszeit- und Arbeitsruhegesetz haben Arbeitnehmer grundsätzlich Anspruch auf eine tägliche Mindest-Ruhezeit im Ausmaß von 11 Stunden sowie auf eine Wochenendruhe bzw Wochenruhe im Ausmaß von mindestens 36 Stunden (§ 12 AZG und §§ 3f ARG). Bisher herrschte das Verständnis, dass die tägliche Ruhezeit von 11 Stunden gewahrt ist, wenn Arbeitnehmer eine wöchentliche Ruhezeit von 36 Stunden oder mehr in Anspruch nehmen. Es galt etwa als zulässig, wenn Arbeitnehmer am Samstag um 13:00 Uhr ihren letzten Dienst der Woche beenden und am Montag um 08:00 Uhr ihren nächsten Dienst antreten (arbeitsfreie Zeit von 43 Stunden).
Aus unserer Sicht sind die österreichischen Gesetze aber nunmehr im (neuen) Licht des zitierten EuGH-Urteiles auszulegen. Eine europarechtskonforme Auslegung der AZG- bzw ARG-Bestimmungen bedeutet daher, dass Arbeitnehmern bei Inanspruchnahme einer Wochen(end)ruhe zusätzlich die tägliche Ruhezeit, sohin eine arbeitsfreie Zeit von insgesamt zumindest 47 Stunden zu gewähren ist. Endet der Dienst eines Arbeitnehmers beispielsweise am Samstag um 18:00 Uhr, kann der Arbeitnehmer frühestens am Montag um 17:00 Uhr wieder zum Dienst eingeteilt werden.
Es ist zu befürchten, dass die Arbeitsinspektorate zukünftig die Mindestruhezeiten in Unternehmen im Sinne der EuGH-Judikatur prüfen werden und auch entsprechende Verwaltungsstrafanzeigen erstatten werden.
Sämtliche Dienstpläne sollten daher auf ihre Vereinbarkeit mit der neuen Auslegung der Mindestruhezeiten überprüft und bei Bedarf entsprechend umgestaltet werden. Dies zumindest so solange, bis der österreichische Gesetzgeber von seinem richtlinienkonformen Gestaltungsrecht Gebrauch macht. Damit wird in absehbarer Zeit aber wohl nicht zu rechnen sein.
Für Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung. Gerne unterstützen wir Sie auch bei einer rechtskonformen Arbeitszeitgestaltung
Judith Morgenstern | Remo Sacherer
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